Cahier

Cahier

Rue Stein – 17. März 2020 bis 11. Mai 2020


120 Seiten
56 Illustrationen

Japanische Broschur, 27.5 x 21.5 cm

ISBN 978-3-03850-076-6

Erschienen im September 2020

CHF 30.00
EUR 30.00

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Woher kommt das Wort Quarantäne? Bis vor einem halben Jahr wußten das die wenigsten – und noch weniger kannten die dazugehörige Erfahrung. Das hat sich unversehens geändert. Früher mutmaßte man, daß Schiffe die Pest an Bord haben könnten, wenn sie von weither kamen. Und so mußten sie – wie z.B. in Venedig – vierzig Tage warten, ehe sie in den Hafen einlaufen durften. Vierzig Tage? Im Elsaß dauerte der ‹Lockdown› dieses Frühjahr länger: Es waren genau 56 Tage. Die Erfahrung der Isolation hat Marie Dréa zu einer Art künstlerischer Selbstbefragung genutzt. Wie einst Hieronymus im Gehäus saß sie am Tisch und zeichnete – um sich herum die Geister-Erscheinungen der Nachrichten und Gedanken. Sie sagte sich: «Nulla dies sine linea», und schuf jeden Tag ein Blatt. Das ganze Spektrum zwischen ungläubiger Belustigung und dämonischer Angst ist darin – festgehalten mit einem präzisen Strich, der naiv tun kann, weil er schlechthin virtuos ist. Die Gegenstände des beschränkten Alltags erscheinen plötzlich im Lichte einer neuen Wichtigkeit. Unvermittelt stehen sie neben Assoziationen an Dürers «Melencolia» oder Goyas Zyklus vom «Schlaf der Vernunft, der Ungeheuer gebiert». Beim Blick auf die Wanduhr scheint die Zeit still zu stehen, und doch dringt über das Radio eine Inflation von Informationen herein – disparat, verstörend und grotesk. Marie Dréa zeichnet all dies im Wortsinn auf, ohne sich vorschnell einen Reim auf das Ineinander von Bedrohung und Klosterruhe zu machen. Ihre Blätter bewahren deshalb nicht nur die Stimmung der Quarantäne, sondern reichen weit über die Zeit hinaus, als sich die Verhältnisse von Innen und Außen so merkwürdig umgekehrt haben. Entstanden ist ein «Artist book», das die ungewohnte Beschränkung jener damaligen (und inzwischen wiedergekehrten) Tage konsequent auf die Gestaltung und Materialisierung überträgt. Und siehe da: Wenn der Minimalismus so gekonnt ist wie bei Marie Dréa, vermittelt er eine tiefere Erfahrung, als jede Opulenz es könnte. Es ist eines der schönsten Bücher geworden, die NIMBUS je veröffentlichen durfte.