Das Grillenzirpen zwischen den Rippen
Das Grillenzirpen zwischen den Rippen
Gedichte
Gedichte
Ganzleinen, Fadenheftung, 20.5 x 13.8 cm
ISBN 978-3-03850-095-7
Erschienen im März 2024
EUR 28.00
Unverlangt eingesandte Manuskripte gehören zu den Plagen des Verlagsalltags. Doch dann passiert plötzlich das Wunder: Man öffnet eine Einsendung, und merkt nach wenigen Worten: Literatur, wirkliche Literatur! Formbewusstsein, genaue Verdichtung der Empfindungen, ein Heraustreten aus der Beengtheit des Ich, Ahnungen und Erfahrungen. So ist es uns bei den Gedichten von Elena Mpei gegangen, und ohne über die Autorin etwas gewusst zu haben, stand gleich fest: Das bringen wir heraus.
Es ist ein Debut von 32 Gedichten mit breit gefächerten Themen: Mediterrane Reiseerlebnisse Mpeiund nördliche Reflexionen, Erinnerungen «aus einer hand schriftlichen Zeit» und ein Mitteilungsstakkato aus «Social Media»-Kanälen. Es geht um das Verschwinden eines kleinen Quartierladens in Athen und die Invasion grosser Windkraftanlagen auf Inseln der Ägäis; da ist eine Kaskade von Vielleicht-Erwägungen vor den Perspektiven eines jugendlichen Lebens, oder jenes Erlebnis am Morgen eines «unverbindlichen Frühlings» in Berlin, «als dir die Zeit über den Weg lief». Und da ist das grosse «Manifest der Feuergewächse» gegen die Verwüstungen des Betonzeitalters. Unbedingt lesen!
Seegefährten
Erinnerst du dich
als wir fünf Uhr Februarmorgens auf dem kalten Schiffsdeck warteten
von oben den verspäteten Passagieren beim Einsteigen zusahen
und uns aus der Distanz taxierten?
Zwischen uns standen:
acht Plastikstühle, vier festgeschraubte Tische, drei Jahrzehnte
und zwei Lebensreisen in entgegengesetzte
politische Himmelsrichtungen
Auf dem Festland
hätten wir nicht miteinander gesprochen
Hier waren wir umschlossen
von fünfzehn Stunden Meer
Du erzähltest
von Stromkreisen und Elektronen
Ich zeigte dir, warum man die Mana niemals ungedeckt lässt
im Backgammon
Und als du Kaffee auf meinem Seetagebuch
verschüttetest wusste ich:
Du hinterlässt Spuren –
und skizzierte in mein Logbuch die Frau aus Meerwasser
die mich noch niemals gelangweilt hat
auf ihrem Rücken
Später lagen wir hintereinander
quer auf den unbequemen Schiffsbänken
Die anderen Passagiere wollten uns vertreiben
doch taten wir so, als ob wir schliefen, und dachten nach
über Würfelfolgen, Plus-Minus-Pole
und alles Dahinterliegende –
Als das Schiff anlegte und ich hinauseilte
drehte ich mich kurz um und sah dich
oben allein auf dem Schiffsdeck stehen
Es war die letzte Gelegenheit:
ohne ein Abschiedswort
nutzte ich den Moment und stanzte noch schnell deine Umrisse aus
dem Blau, das dich umringte