Newsletter 2/2018


Am vergangenen Samstag ist der Fotograf Stefan Moses im Alter von 89 Jahren verstorben. «Deutschland verliert seinen Chronisten», würdigte ihn Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Bei NIMBUS sind drei Bücher von Stefan Moses erschienen, zuletzt «Le Moment fugitif» mit Texten von Alexander Kluge. Ein Motiv in drei fotografischen Aufnahmen festgehalten, dazu ein assoziativer Text von Alexander Kluge - dieses Prinzip durchzieht das gesamte Buch. Wir danken Herrn Kluge für seine Anregung, das Prosastück «Es glänzt die wilde Welt» zu den drei Selbstportraits von Stefan Moses mit der Katze Mau-Mau aus dem Jahr 1998 als Nachruf  hier zu publizieren. Die Bildserie und der Text bilden den Auftakt des Bandes «Le Moment fugitif», Sie finden die Bilder und Texte als letzte Meldung dieses Schreibens. 

1968: 50 Jahre Vietnam-Kongress: Zeitzeuge Michael Ruetz im Fernsehen
 

Viele der Fotos, die das kollektive Bildgedächtnis über die Geschehnisse des Jahres 1968 ausmachen, stammen von Michael Ruetz. Besonders bekannt: das Photo von Rudi Dutschke beim Vietnam-Kongress, eine der Initial-Zündungen für die folgenden Proteste. Und Michael Ruetz 'blieb dran' - täglich war er am Puls des Geschehens, photographierte die Ereignisse nach Benno Ohnesorgs Tod oder Gudrun Gudrun Ensslin mit Kinderwagen und Protestplakaten beim Tag der offenen Tür der amerikanischen Air Force. Es sind Bilder, die jeder kennt. 50 Jahre später hat sich Ruetz die Frage gestellt: Habe ich eigentlich wirklich gesehen, was ich damals fotografierte? Und sind die bekannten Aufnahmen auch die wesentlichen? Für den Bildband «Gegenwind. Facing the Sixties» hat er in seinen Fotografien die Gesichter der Menschen von damals gesucht, um sie in ihrer Individualität zu bewahren. Detailansichten, Blow-ups der von ihm gewählten Ausschnitte lassen die Bilder in einer neuen Lesart erscheinen. Was in den groß gezeigten Gesichtern der Zuschauer, der Mitläufer, der Mitdenker, der Streikenden, Kämpfenden in den 1960er-Jahren geschrieben steht, deutet sich der heutige Betrachter am besten selbst.
Im heute-Journal (ZDF) wird Michael Ruetz über seine Erlebnisse am internationalen Vietnam-Kongress am 17. und 18. Februar 1968 berichten und auch auf seine stillen Zeugen, die Fotografien von damals, eingehen. Der Sendetermin steht noch nicht fest - bestenfalls am 17. und 18. Februar einschalten! 

Michael Ruetz: Gegenwind. Facing the sixties. Mit Texten von Christoph Stölzl und Michael Ruetz. 
Halbleinen, Fadenbindung. EUR 39.80 / CHF 44.00


Amélie Losier im Couchgespräch mit Gisela Kayser 
 

Gisela Kayser, die künstlerische Leiterin des Freundschaftskreises Willy-Brandt-Haus in Berlin, wird am Dienstag, den 20. Februar um 19 Uhr beim «Gespräch auf der Couch» im F3 - Freiraum für Fotografie mit der Fotografin Amélie Losier über deren neustes Buch «SAYEDA. Frauen in Ägypten» (Nimbus, 2017) diskutieren. 
Wie in vielen arabischen Umbruchländern ist die Gesellschaft in Ägypten tief gespalten: Hier die revolutionäre Sehnsucht nach westlicher Prägung; dort das Streben nach streng-religiöser Restauration. Dabei gewinnt ein grundlegender Konflikt an Bedeutung: derjenige zwischen den Geschlechtern. Denn solange die Rechte der Frauen mißachtet werden, kann es keinen wirklichen gesellschaftlichen Fortschritt geben.Vor diesem Hintergrund ist die Fotografin Amélie Losier mehrfach nach Ägypten gereist, um mit der Kamera der Frage nachzugehen: Was bedeutet es heute, eine Frau in Ägypten zu sein? Sie traf die verschiedensten Frauen, portraitierte und interviewte sie. Ihre Fotos und Texte geben einen tiefen, facettenreichen Einblick in eine Welt jenseits der gängigen politischen Nachrichten.
Der Eintritt zu dem Couchgespräch im F3 (Waldemarstr. 17, Berlin) beträgt 5, ermäsigt 3 EUR. 

Amélie Losier. SAYEDA. Frauen in Ägypten. Women in Egypt. Femmes d'Égypte. 
288 Seiten, Fadengebunden, zweierlei Papier. 36 EUR / 39.80 CHF


«Es glänzt die wilde Welt» - anstelle eines Nachrufs.
von Alexander Kluge 
 

Es war in der Zeit, als die Raumfahrt begann. In einem der Forschungsinstitute des „Himmelsstädtchens“ bei Moskau, datschenumsäumt, klinikversorgt, eine der modernsten Wissenschaftsstädte der Welt, waren in den Labors Gehirne von Katzen untersucht worden. Verglichen mit den Hirnen von Hunden, Vögeln oder Krokodilen (als dem Verbindungsglied der Vögel zu den Sauriern) waren, was Navigation betrifft, die Schaltzentralen der Katzen, vor allem die eines wilden sibirischen Stammes dieser Art, weit überlegen. Gleichgewichtsgefühl in schwerelosem Raum: erstklassig. Raschheit bei der Betätigung der Tasten eines Steuermechanismus (entsprechend der Zuschlagsgeschwindigkeit bei der Jagd nach Kleingetier): überragend. Daher war geplant, die Hunde, die in den Raumkapseln oft träge reagierten und denen Fehler unterliefen, in den Missionen im Orbit durch Katzen zu ersetzen.
Dann aber die Enttäuschung! Bei den Anlernversuchen im Cockpit-Modell der Raumkapsel waren diese Eigenbrötler zu keinem geordneten Einsatz ihrer Fähigkeiten zu gewinnen. Weder auf direkte Belohnungen, noch auf Signale (durch bedingten Reflex an Belohnung gebunden) antworteten sie. Menschenfremd, ohne Erinnerung an Dankespflicht für zuvorige Wohltaten, stets an der aktuellen Situation orientiert, lungerten sie mit Zeichen der Ungeduld in ihrer Kammer. Offenkundiger Wunsch nach Ortswechsel. Die Beobachter, alles Wissenschaftler der Spitzenklasse, wußten, daß es diesen Katzen an Fähigkeit und besonderem Verstand nicht mangelte. Gänzlich fehlte ihnen der Wille. Nahm man sie aus ihrem Gefängnis heraus, umschmeichelten sie Hals und Schultern des ihnen vertrauten Betreuers, erheischten Streicheleinheiten und Leckereien (ohne sich verdient gemacht zu haben, sozusagen um der Sache selbst willen).
Sollte man es mit anderen Exemplaren der Gattung versuchen? Vielleicht doch mit Hauskatzen, deren navigatorische Fähigkeiten und deren Reaktionsvermögen bei der Betätigung von Tastaturen nach den Laborergebnissen den Wildkatzen nachstand? Auch Tempelkatzen oder die seltenen im Wachdienst des Werkschutzes in den USA bewährten Warnkatzen, die jeden Saboteur oder Terroristen rasch zu entdecken verstanden, wurden erprobt, waren aber, so wenig wie ihre Vorgänger folgebereit, sobald sie in ein technisches Gerät eingekerkert wurden.
Wjatscheslaw N. Shilin, einer der Forscher und Betreuer, der seine Katzen sehr liebte, riet von der weiteren Verfolgung dieser Linie in der Raumfahrt ab. Nicht einmal einen Start werde man mit diesen FREIHEITSDURSTIGEN zustande bringen. Von einem längeren Aufenthalt auf dem Mars zu schweigen. Der Mann galt im „Himmelsstädtchen“ als Frauenverführer. Er habe erlebt, daß er einer jungen Frau Zuwendung entgegen gebracht, sie sich ihm hingegeben habe, das aber längst nicht bedeutet hätte, daß sie ihn wiederliebte. Sie sei nur so lange bei ihm geblieben, wie es ihr paßte. Ähnlich empfinde er die „Herzlichkeit einer wilden Katze“. Eine davon schmiegte sich gerade wie ein Pelz um seinen Nacken, Pfoten auf seinen Schultern, schnurrend, während er das Fell liebkoste. Täglich, sagte er, fordert sie ihre Ladung an Zärtlichkeit, kleinen Aufmerksamkeiten, Geschenken. Nie aber hätte das Tier ihn abgeschleckt, wie es seine freundwilligen Hunde täten. Liebe sei für die Katze eine Einbahnstraße: zu ihnen hin, aber nirgends zurück. Dabei schienen die Tiere nicht gleichgültig zu sein. Sie hätten vielmehr ein genaues Unterscheidungsvermögen, was ihnen gefällt und was nicht. Ob dieses Urteilsvermögen je die Bezeichnungen „Gehorsam“ oder „Einsatzbereitschaft“ verdiene, bezweifle er. Jedenfalls löse nichts, was er tue, Dankbarkeit aus. Es verbleibe bei dem unsäglichen Freiheitsdrang.
„Lieber sterben, als emotional lügen“. Das habe Geltung, wenn man bei Wildkatzen von Emotion sprechen wolle und nicht von einer grundlegenden Fremdheit (Distanz zum Menschen). Shilin führte das auf eine außerplanetarische Herkunft seiner Katzen zurück (von denen er in seinen Laboratorien 64 untersucht hatte), die von ägyptischen Tempelkatzen abstammten, die nach Weggang der Götter und Verödung der Tempel, ins Freie ausgewildert worden waren. Alle Wildkatzen, die bis Sibirien gelangten, behauptete er, sind ehemalige Tempelkatzen. Als Außerirdische sind sie zur Raumfahrt prädestiniert, werden aber die unbeholfenen Versuche der Menschen, einen Platz im Weltraum zu ergattern, von sich aus nicht fördern.

Stefan Moses / Alexander Kluge: Le Moment fugitif. 128 Seiten, geprägtes Leinen, fadengebunden. EUR 39.80, 44 CHF