Newsletter 8/2017 - die ersten Herbst-Novitäten
Die ersten Novitäten des Herbstes sind da!
Mit Gertrud Leutenegger ist erstmals eine Surhkamp-Autorin zu Nimbus gekommen. Ihre verdichtete Prosasammlung Das Klavier auf dem Schillerstein ist eine Liebeserklärung an die Poesie: kleine Kostbarkeiten von grosser Sprachmacht. Wir sind stolz, nun schon den vierten Roman von Kerstin Kempker herausgeben zu dürfen. Bruderherz ist eine durch und durch unsentimentale Familiengeschichte - schön und beklemmend zugleich: große Literatur. Andreas Herzau gehört zu den renommiertesten Fotojournalisten seiner Generation. Seine Arbeit HELVETICA ist eine fotografische Antwort auf René Burris 'Die Deutschen'. Dass der grossformatige und in vieler Hinsicht verblüffende Bildband auch noch mit Gedichten von Nora und Eugen Gomringer aufwartet macht ihn in unseren Augen absolut unwiderstehlich.Gertrud Leutenegger: Das Klavier auf dem Schillerstein
Elf Texte aus den Jahren 1989 bis 2016 versammelt der Band, und bereits die Titelgeschichte «Das Klavier auf dem Schillerstein» signalisiert, was alles geschehen kann, wenn die Kräfte der Phantasie zu wirken beginnen. Dies umso mehr, als Gertrud Leutenegger im vorliegenden Band aus kleinen Alltagssituationen heraus die Ahnenreihe ihrer literarischen und künstlerischen Anregungsfiguren erstehen läßt. Der Besuch bei einem alten italienischen Augenarzt führt zu einer Begegnung mit Kleists «Marquise von O...»; aus der stockdunklen Nacht eines Tessiner Tals bei Stromausfall entwickelt sich eine Unterhaltung mit Novalis; die Erinnerung an die kindliche Faszination für die Verpackung von Zwieback Hug führt zu Viscontis legendärer «Gattopardo»-Verfilmung. Autorenkollegen wie Gerhard Meier und Giovanni Orelli erlebt man als Reisebegleiter in Österreich oder China, während aus der Landschaft des Genfersees die archaische Familiensaga von Catherine Colomb wieder lebendig wird. Dazwischen stehen Huldigungen an Dinge, Erlebnisse und Stimmungen, deren scheinbare Alltäglichkeit in Wahrheit Residuen der Poesie sind: kühle Treppenhäuser in der Tessiner Sommerhitze, morgen- und abendliche Pendlerbusfahrten in entlegene Täler oder die plötzliche Erinnerung an eine der ersten selbstgekauften Schallplatten. Am Ende fährt die Erzählerin auf den Furkapass, wo mit lächerlichen weißen Tüchern verzweifelt versucht wird, das Abschmelzen der Gletscher zu verhindern, während zugleich ein innerer Film in ihr abläuft: Wie einst Rimbaud im Winter den Gotthard überquerte – bis unter die Achseln im Schnee versinkend und der weißen Hölle nur mit knapper Not entrinnend. Es ist ein traumwandlerisches Neben- und Ineinander von Erleben und Erinnern, das die Texte bestimmt, durchdrungen von Poesie in jedem Satz.
Gertrud Leutenegger: Das Klavier auf dem Schillerstein. Prosa. Breitklappenbroschur, Fadenbindung, Silbereinband. ISBN 978-3-03850-035-3. CHF 22.80 / EUR 19.80
Kerstin Kempker: Bruderherz. Ein Flimmern
Eine Frau hat eine Gastwohnung in New York bezogen. In der Nacht schreckt sie auf: Vorhofflimmern. Sie kennt das schon, schluckt die Notfallpille. Gedanken an die Kindheit kommen in ihr hoch: an die Eltern, die Geschwister und vor allem an den Bruder. Seit bald acht Jahren sprechen die beiden nicht mehr miteinander, seit dem Fest in Caputh... Doch dies war nur der zufällige Anlaß einer längeren Geschichte, die an jenem Abend kulminierte, als man den 80. Geburtstag der Mutter feiern wollte. Die Erzählerin sucht nach Vorzeichen und verdeckten Hintergründen; versucht, der gemeinsamen Vergangenheit wieder habhaft zu werden. Denn die längste Beziehung im Leben ist die zu den Geschwistern. Oder: «Wer Hand in Hand durch die Kindheit ging, gemeinsam auf der Lauer lag und jeden Samstag im selben Wasser badete, der sagt nicht ohne den anderen Ich» – dies weiß sie gewiß. Es sind die alten Fragen: «Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?», die den Text antreiben. So beiläufig «Bruderherz» erzählt zu sein scheint, so tiefgründig erforscht es die kleinen Ursachen mit den großen Wirkungen, die – den Betroffenen oft weitgehend verborgen – ganze Lebensläufe und Familiengeschichten bestimmen. Kerstin Kempkers Bücher können nie auf den Plot hin gelesen werden, sie sind genuin literarisch. Wer sich nicht sentimental betrügen lassen will, ist bei dieser Autorin richtig.
Kerstin Kempker: Bruderherz. Ein Flimmern. 120 Seiten, Fadenheftung, Halbleinen. ISBN 978-3-03850-036-0. CHF 22.00 / EUR 19.80
Andreas Herzau: HELVETICA
Die Schweiz, wie Sie sie noch nie gesehen haben
Andreas Herzau gehört zu den renommiertesten Fotojournalisten seiner Generation. Bekannt wurde er in den 1990er Jahren durch Reportagen aus den afrikanischen Bürgerkriegsländern und zu Flucht und Migration. In seinen grossen monographischen Arbeiten über Deutschland, New York und Moskau erweitert er die Grenzen der klassischen Reportagefotografie und entwickelte er eine unverkennbare eigene Bildsprache mit überraschenden kontrastierenden Schnitten. Seine neuste Arbeit HELVETICA ist ein fotografischer Essay in 65 Bildern über die heutige Schweiz. Über ein halbes Jahrzehnt hat Andreas Herzau das Land immer wieder besucht und die verschiedensten Orte, Sujets und Menschen festgehalten. Ihm geht es nicht um Reportage-Fotografie im berichtenden Sinn, sondern darum, eigene Vorstellungen mit dem Vorgefundenen abzugleichen. Herzau zeigt ein Land, das für auswärtige Betrachter wie eine Klischeefalle wirkt: touristische Kulisse, Inbegriff von Wohlstand, Ordnung und Perfektion. Doch was ist hier Image, was Projektion? Herzau geht näher heran und schaut genau hin: mit einem Blick für das sprechende Detail, für die verborgene Komik und die offenen Fragen.
Ein Auslöser für die Arbeit war René Burris berühmtes Buch «Die Deutschen» aus dem Jahr 1962, das Herzau bei der Vorbereitung zu einem Vortrag über Fotobücher in die Hände fiel. Daraufhin entwickelte er die Idee, den Schweizern einen Gegenbesuch abzustatten. Analog zu Burris Werk, in dem deutsche Autoren den Bildern kurze Texte zur Seite stellten, sind die beiden aus der Schweiz stammenden Autoren Nora und Eugen Gomringer in dem Band mit Gedichten vertreten. Durchs Buch blättern kann man mit Klick auf diesen Link.
Andreas Herzau: Helvetcia. Mit Gedichten von Nora und Eugen Gomringer. Grossformatiger Bildband mit aufgesetzten Deckeln, Fadenbindung. 104 Seiten. ISBN 978-3-03850-039-1 CHF 42 / EUR 38. Ein Vorabdruck befindet sich in der heutigen Ausgabe der ZEIT Schweiz (unteres Bild).